NOTARZT 2022; 38: 336-351

Update Anaphylaxie

Fall 1

In einer urologischen Praxis klagt ein Patient, der zuvor bei Varikozele eine antegrade Sklerosierung in Lokalanästhesie erhalten hat, über Schmerzen. Der Patient erhält 1 g Metamizol gtt. oral und zeigt Minuten danach eine deutliche Verschlechterung: Nach der Medikamentengabe klagt der Patient zunächst über Unwohlsein und Hitzegefühl. Die Vigilanz des Patienten verschlechtert sich bis hin zur Somnolenz, eine Tachypnoe ist bemerkbar (28/min).

Der hinzugezogene Arzt bringt eine Pulsoxymetrie an, diese funktioniert wegen Signalschwäche jedoch nicht. Nach mehrmaligem erfolglosem Messen wird ein Blutdruck 60 mmHg systemisch palpatorisch festgestellt. Der Rettungsdienst wird daraufhin alarmiert.

 

Einleitung

In einem „Update 2021“ hat die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie gemeinsam mit weiteren Fachgesellschaften das aktuelle Wissen und die Versorgungskonzepte für die Anaphylaxie vorgestellt. Zuvor hatte die Weltvereinigung der Allergie-Gesellschaften 2020 ein Update ihrer Leitlinie vorgestellt, an der aber nur einzelne europäische Allergie-Fachgesellschaften beteiligt waren. Zudem enthalten auch die ERC-Leitlinien 2021 Aussagen zur Therapie einer Anaphylaxie.

Bereits 2014 wurden in der Zeitschrift NOTARZT die Akuttherapie und das Management einer Anaphylaxie im Rettungsdienst und in der Notaufnahme dargestellt. Dieses Update dient der Aktualisierung der Inhalte und soll notwendiges Wissen zum Umgang mit dem Notfallbild der Anaphylaxie vermitteln. Vorab: Wesentliche Änderungen am Vorgehen in der akuten Versorgung gibt es nicht.

 

Merke

Der Begriff „Anaphylaxie“ ersetzt die älteren Begriffe „anaphylaktische Reaktion“ und „anaphylaktischer Schock“, die nicht mehr verwendet werden sollen.

 

Die international etwas differierenden Definitionen der Anaphylaxie können wie folgt zusammengefasst werden:

Definition: Anaphylaxie

Anaphylaxie ist eine potenziell schwere, lebensbedrohliche systemische Überempfindlichkeitsreaktion, die sich durch einen raschen Beginn mit potenziell lebensbedrohlichen Atemwegs-, Atmungs- oder Kreislaufproblemen auszeichnet und die in der Regel (aber bei Weitem nicht immer) mit Haut- und Schleimhautveränderungen einhergeht.

 

Die Literatur zeigt, dass tödliche und beinahe tödliche Anaphylaxien selten sind, selbst dann, wenn die Reaktionen nicht angemessen behandelt werden. Daher muss die Mehrzahl der Anaphylaxiereaktionen an sich nicht als lebensbedrohlich bezeichnet werden. Da Behandelnde jedoch nicht in der Lage sind, den Verlauf einer Anaphylaxie vorherzusagen, sind Anaphylaxien notfalls mit Adrenalin intramuskulär zu behandeln, um das Sterberisiko zu verringern.

Merke

In diesem Text wird der Begriff Adrenalin verwendet, der mit Epinephrin gleichzusetzen ist.

 

Epidemiologie

 

Inzidenz: Mangel an Daten und dennoch feststellbare deutliche Zunahme

Aus unterschiedlichen Gründen ist eine genaue Angabe zur Inzidenz der Anaphylaxie schwierig: Es besteht noch immer keine einheitliche Definition der Anaphylaxie. Zudem ist das Krankheitsbild komplex und mit seinen verschiedenen Auslösern in der ICD-10 und in der ICD-11 nur unvollständig abgebildet. Ein Mangel an epidemiologischen Studien ist die Folge, und man muss davon ausgehen, dass Inzidenz und Prävalenz unterschätzt werden.

 

Daten aus den USA zeigen Inzidenzen von 50–100 Ereignissen pro 100000 Einwohner und Jahr. Anaphylaxiebedingte Todesfälle sind selten: 0,1–03 Todesfälle pro 1000000 Einwohner werden berichtet. Aktuelle Daten aus Deutschland existieren nicht. Zum Vergleich: Die Inzidenz des plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstands, meist auf dem Boden einer kardialen Ischämie, wird mit wird 60–80/100000 Einwohner und Jahr angegeben.

 

Experten sehen in den letzten 10 Jahren eine Zunahme von Anaphylaxieereignissen und darauffolgenden Krankenhauseinweisungen, möglicherweise aufgrund gestiegener Awareness für das Phänomen. Allerdings: Die Letalität des Krankheitsbildes bleibt gering.

 

Merke

Anaphylaxien und anaphylaxiebedingte Krankenhausbehandlungen nehmen zu.

Auslöser und Risikofaktoren

Auslöser einer Anaphylaxie bei Kindern und Erwachsenen unterscheiden sich in Bezug auf ihre Häufigkeit. Im Kindesalter stehen Nahrungsmittelallergien im Vordergrund, während im Erwachsenenalter Allergien gegen Insektengifte, gefolgt von Arzneimittelallergien die häufigsten Auslöser einer Anaphylaxie sind ([Tab. 1]).

Sogenannte nicht allergische Anaphylaxien kommen vor. Ursache ist hierbei eine direkte Stimulation der Makrophagen ohne Beteiligung von Immunglobulinen. Als Auslöser werden körperliche Anstrengung, Wärme, Kälte, Opioide und Alkohol sowie das Antibiotikum Vancomycin genannt. In 6–7% aller Fälle lässt sich der Anaphylaxie kein spezifischer Auslöser zuordnen.

 

Risikofaktoren für das Entstehen einer Anaphylaxie sind beschrieben ([Tab. 3]) und können auch selbst Auslöser einer Anaphylaxie sein. Insbesondere β-Blocker und ACE-Hemmer sowie Asthma bronchiale, der Konsum von Alkohol ebenso wie körperliche und psychische Anstrengung wirken als Verstärker der pathophysiologischen Abläufe (s. a. [Tab. 2]).

 

Fall 1 – Fortsetzung

Der Patient erhält aufgrund des Verdachts einer allergischen Reaktion auf das Schmerzmittel 40 Fenistil-Tropfen (2 mg Dimetinden). Die Anlage eines intravenösen Zugangs gelingt trotz mehrerer Versuche bei erheblicher Zentralisation bei kalten Extremitäten nicht. Ein weiterer Arzt der Praxis wird hinzugezogen und versucht mehrfach frustran, die V. jugularis externa zu punktieren.

Noch vor Eintreffen des Rettungsdienstes kommt es zur Bewusstlosigkeit und Schnappatmung, woraufhin das Praxisteam mit einer Wiederbelebung inklusive der Anbringung eines AED beginnt. Ein i. v. Zugang kann weiterhin nicht etabliert werden. Im EKG zeigt sich ein nicht defibrillierbarer Rhythmus, sodass der AED keine Schockindikation erkennt.

 

Mediatorenfreisetzung und Manifestation an den Organsystemen

Grundsätzlich sind 2 Wege der immunvermittelten Anaphylaxie zu unterscheiden.

Den „klassischen Weg“ stellt die immunglobulinvermittelte Reaktion dar:

Immunglobulin-E-(IgE-)Antikörper binden an den FcεRI-Rezeptor auf Mastzellen und basophilen Granulozyten. In der Folge kommt es zu einer Mastzelldegranulation und damit zur Ausschüttung von Histamin, β-Tryptase und plättchenaktivierendem Faktor (PAF). Über die zentrale Rolle des Histamins bei der Entstehung einer Anaphylaxie besteht Einigkeit. Die Verabreichung von Histamin löst bei Gesunden eine anaphylaxieartige Reaktion aus.

Eine unspezifische Reaktionsvermittlung kann zur Degranulation von Mastzellen und basophilen Granulozyten führen, ohne dass abschließend klar ist, auf welchen Mechanismen diese Degranulation basiert.

 

Merke

In jedem Fall stellt Histamin den wichtigsten Mediator der Anaphylaxie dar.

 

Welche Organsysteme in welchem Umfang betroffen sind, ist unterschiedlich. In 90% der Fälle sind Haut oder Schleimhäute betroffen. Danach folgen die Atemwege (70%), der Gastrointestinaltrakt (30–45%), das Herz-Kreislauf-System (10–45%) sowie das zentrale Nervensystem (10–15%). Die pathophysiologischen Effekte an den verschiedenen Organsystemen werden in [Abb. 1] verdeutlicht.

Fall 1 – Fortsetzung

Der zugezogene Notarzt erkennt die Situation und verabreicht 1 mg Adrenalin über einen intraossären Zugang gefolgt von 1000 ml Vollelektrolytlösung. Antihistaminikum und Glukokortikoid werden vorbereitet, während der Patient in einen ROSC mit Sinustachykardie und messbarem Blutdruck gerät.

Im weiteren Verlauf gelingt die Stabilisierung des Patienten, der eine Woche später ohne Residuen des Kreislaufstillstands aus dem Krankenhaus entlassen werden kann.

 

Fazit

Dieses Ereignis wurde früh als „Anaphylaxie“ erkannt. Das versorgende Team versäumte es aber, auf Basis dieser Diagnose konsequent zu reagieren. Die zeitaufwendige Anlage eines intravenösen Zugangs, die mehrfach misslang, verzögerte den Therapiebeginn weiter. Überdies war die gewählte medikamentöse Therapie inadäquat.

 

Haut und Schleimhäute: Brennen und Kribbeln als Prodrome

Brennen und Kribbeln in Händen, Füßen und/oder im Genitalbereich kündigen häufig eine Anaphylaxie an (Prodromalstadium). Regelmäßig wird von „metallischem Geschmack im Mund“ berichtet.

Durch Degranulation von Mastzellen und basophilen Granulozyten kommt es zur Freisetzung verschiedener Mediatoren. Diese verursachen Urtikaria und Angioödeme.

Juckreiz entsteht histamininduziert an den Nervenendigungen nozizeptiver Fasern und ist ebenfalls charakteristisch. Selten kommt es zu einem ausgeprägten Ödem der oberen Atemwege mit der Gefahr einer tödlichen Atemwegsverlegung durch eine Schwellung der Epiglottis.

Merke

Todesfälle bei Anaphylaxien sind selten und meist Folge eines Angioödems mit Atemwegsverlegung. Bei Dyspnoe im Rahmen einer Anaphylaxie sollte also immer ein Angioödem der Atemwege ausgeschlossen respektive durch geeignete atemwegssichernde Maßnahmen angegangen werden.

 

Herz-Kreislauf-System: hypovolämer und distributiver Schock

Eine Anaphylaxie kann zu einem ausgeprägten Abfall des Herzzeitvolumens (HZV) und des arteriellen Blutdrucks mit der Folge einer Minderperfusion des Körpers führen. Hierbei spielen verschiedene Mechanismen eine Rolle:

 

Herzzeitvolumen durch verschiedene Mechanismen reduziert

Am Herzen reagieren vor allem kardiale Mastzellen, die sich in direkter Umgebung der Koronargefäße befinden und deren Zahl bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung oder Herzinsuffizienz erhöht ist.

H1-Rezeptoren-Aktivierung kann Koronarspasmen auslösen oder zu einer Plaqueruptur führen. Der so entstehende Myokardinfarkt wird als Kounis-Syndrom bezeichnet. Auch das Auftreten einer Tako-Tsubo-Kardiomyopathie wurde im Zusammenhang mit der Anaphylaxie beschrieben.

Der Körper reagiert kompensatorisch mit einer Tachykardie. Über kardiale H2-Rezeptoren werden ein positiv chronotroper und inotroper Effekt sowie eine koronare Vasodilatation ausgelöst. Die vasokonstriktiven Effekte der Histaminausschüttung auf die Koronararterien überwiegen jedoch meist.

PAF kann über eine Reduktion des intrazellulären Kalziumgehalts negativ-inotrope Wirkungen entfalten sowie ausgeprägte Störungen der atrioventrikulären Überleitung verursachen. Hierdurch kann es im Verlauf der Anaphylaxie zu Bradykardien kommen. Auch der sog. Betzold-Jarisch-Reflex, ausgelöst durch eine rasch einsetzende Hypovolämie, kann Ursache einer Bradykardie sein. Hierbei handelt es sich um eine Aktivierung des N. vagus, vermittelt über die Aktivierung von Rezeptoren der ventrikulären Wandspannung.

 

Gefäße: Extravasation und Vasodilatation - Schock

Ein ausgeprägtes Kapillarleck ist die Folge von freigesetztem Histamin und PAF, aber auch anderer Mediatoren wie Bradykinin, Substanz P und weiteren. Innerhalb weniger Minuten können bis zu 35% des Plasmavolumens in das Interstitium umverteilt worden sein. Freigesetztes Histamin bewirkt über endotheliale H1- und H2-Rezeptoren die Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO) und dadurch eine ausgeprägte Vasodilatation. Die Kombination aus Hypovolämie und Vasodilatation trägt durch den damit verbundenen Abfall des venösen Rückstroms zum Herzen zu einer dramatischen Reduktion des HZV bei.

Merke

Die Kombination von hypovolämem und distributivem Schock bei der Anaphylaxie entsteht durch das gleichzeitige Auftreten von Flüssigkeitsextravasation, Vasodilatation und Reduktion des Herzzeitvolumens.

 

Lunge: Störungen durch Obstruktion und Sekretion

Im Zuge der Anaphylaxie kommt es in der Lunge zu einer Bronchokonstriktion und gesteigerter Sekretproduktion. Auch die Atemwege zeigen eine Vasodilatation und gesteigerte Gefäßpermeabilität. Leukozyten migrieren in das Lungengewebe und verstärken Bronchokonstriktion und Inflammation weiter.

 

Gastrointestinaltrakt: starke Reaktion möglich

Erhöhte Sekretproduktion und die Kontraktion glatter Muskelzellen führen im Gastrointestinaltrakt zu Krämpfen, Übelkeit, Erbrechen und Diarrhöen. Es kann zur ungewollten Defäkation kommen.

 

Zentrale Nervensystem: Gefühl drohenden Unheils

Anaphylaxien können zu Unruhe, Kopfschmerzen, Rückzugsverhalten und Schwindel führen. Desorientiertheit und Bewusstseinsstörungen bis zur Bewusstlosigkeit können auftreten. Während bei Kindern auch Aggressivität und Ängstlichkeit im Verlauf einer Anaphylaxie beobachtet werden, wird von Erwachsenen vor allem ein „Gefühl drohenden Unheils“ erlebt und beschrieben.

Fall 2

In einem Restaurant meldet sich ein Gast beim Personal, weil er glaubt, während des Essens eine Taubheit der Zunge wahrgenommen zu haben. Aufgrund einer Nussallergie ist er sehr beunruhigt, ob das Essen möglicherweise Spuren von Nüssen enthalten haben könnte. Die hinzugezogene Küchenleitung verneint dies. Zu diesem Zeitpunkt beklagt der Patient bereits eine Enge in der Brust.

 

Diagnose

Schweregradeinteilung

Die Anaphylaxie wird nach der deutschen Leitlinie weiterhin in 4 Schweregrade eingeteilt. Allerdings ist diese Schweregradeinteilung nicht unumstritten, da die Versorgung einer Anaphylaxie immer symptombezogen erfolgen muss und nicht vom „Erreichen eines Schweregrades“ abhängig gemacht werden darf. Aus eher didaktischen Gründen hält man derzeit insbesondere in Deutschland an einer Einteilung in die Grade I bis IV fest, wobei der Grad I nicht dem entspricht, was die Definition einer Anaphylaxie ausmacht (s. u.). Die Einteilung reicht dabei von Grad I bei lediglich kutaner Symptomatik bis Grad IV, was einer Reanimationssituation entspricht. Eine Übersicht über die Gradeinteilung gibt [Tab. 3].

Eine Anaphylaxie kann in jedem der Schweregrade I–III spontan zum Stillstand kommen und rückläufig sein. Dennoch ist z. B. auch bei Grad I die Dynamik der Entwicklung nicht absehbar.

Cave

In 5–20% der Fälle kommt es nach zunächst erfolgreicher Therapie zu einem biphasischen oder protrahierten Verlauf innerhalb von 6–24 h.

 

Wann sprechen wir von einer Anaphylaxie?

Merke

Die Diagnose der Anaphylaxie erfolgt nach klinischen Symptomen.

 

Die in verschiedenen Leitlinien dargestellten Kriterien zur Diagnose einer Anaphylaxie weisen zwar eine hohe Sensitivität von > 95% auf, zeigen aber auch Schwächen:

  • Will man den potenziell lebensbedrohlichen Charakter der Anaphylaxie herausstellen, so ist die Klassifikation von isolierten kutanen Symptomen ohne weitere systemische Organreaktionen als Anaphylaxie unpassend.

  • Gerade Lebensmittelanaphylaxien weisen teilweise isolierte respiratorische oder kardiovaskuläre Symptome auf, müssen aber als anaphylaktisch erkannt werden.

  • Insbesondere lebensgefährliche Anaphylaxien zeigen in 10–20% der Fälle keinerlei kutane Symptome, müssen aber ebenfalls als Anaphylaxie erkannt werden.

Die Suche nach einer „allgemeingültigen Definition“ der Anaphylaxie dauert an, und derzeit ist die Definition uneinheitlich. International wird eine allergische Reaktion der Schweregrade I–II nicht mehr als „Anaphylaxie“ bezeichnet. Der Begriff Anaphylaxie soll zukünftig für schwere, potenziell lebensbedrohliche Zustände verwendet werden.

Typischerweise kommt es bei einer Anaphylaxie zu einem raschen Auftreten von Symptomen nach einer Antigenexposition, erste Symptome entwickeln sich innerhalb von 30 min nach Antigenkontakt, häufig auch schneller.

Verzögertes Auftreten einer Anaphylaxie ist vor allem bei Lebensmittelallergien beschrieben, so beträgt die Zeit bis zum Auftreten von Symptomen bei Erdnussallergie im Mittel ca. 1 h. Nach parenteralem Kontakt mit dem Allergen (Insektenstich oder Medikamentengabe) treten Symptome schneller auf als nach oral aufgenommenem Antigen.

Die verschiedenen Organsysteme sind unterschiedlich oft betroffen. Am häufigsten ist die Haut beteiligt. Es folgen das Herz-Kreislauf-System, die Atemwege und der Gastrointestinaltrakt (s. o.).

Kein einzelnes Symptom muss immer vorliegen, um eine Anaphylaxie diagnostizieren zu können; eine Anaphylaxie kann z. B. ohne kutane Beteiligung vorliegen.

 

Merke

Eine schwere Anaphylaxie kann auch ohne jede kutane (Haut-)Symptomatik verlaufen.

 

Therapie: weiterhin falsche Zurückhaltung beim Einsatz von Adrenalin

In der zurückliegenden Dekade stand die rettungsdienstliche (v. a. notärztliche) Therapie der Anaphylaxie deutlich in der Kritik. Daten belegten die mangelnden Kenntnisse im Umgang mit dem Notfall Anaphylaxie und das lückenhafte Einhalten internationaler wie nationaler Leitlinien zu dessen Behandlung. Nach Auswertung von Daten aus den Jahren 2006 bis 2013 erhielt nur eine Minderheit (je nach Schweregrad 15–25%) der Patienten mit einer Anaphylaxie durch Notärzte Adrenalin. Wesentlicher Inhalt der Kritik entsprechend: Notärzte unterlassen bei Anaphylaxie die Gabe von Adrenalin und gefährden dadurch
Notfallpatienten.

Mittlerweile kann man feststellen, dass sich das Verständnis für die notwendige Behandlung einer Anaphylaxie mit intramuskulärem Adrenalin zu wandeln beginnt: Zunehmend werden Rettungsfahrzeuge mit Kanülen zur intramuskulären Injektion ausgestattet, und in die Versorgungsstandards für Notfallsanitäter wurde die Maßnahme „i. m. Adrenalin“ in vielen Bundesländern aufgenommen.

Es erscheint jedoch angesichts weiterhin häufig suboptimaler Notfalltherapie weiter wichtig, darauf hinzuweisen, dass die sofortige Gabe von intramuskulärem Adrenalin in den M. vastus lateralis (Oberschenkelaußenseite) die wichtigste und wirksamste Methode der Verhinderung eines fatalen Verlaufes einer Anaphylaxie darstellt ([Abb. 2]).

 

nicht medikamentöse Therapiemaßnahmen

Beendigung der Antigenexposition

Wenn es möglich ist, soll eine andauernde Allergenexposition gestoppt werden. Dies kann beispielsweise durch Sistieren einer i. v. Medikamentengabe erfolgen, die als Allergen vermutet wird. Maßnahmen der „Isolation“ des Allergens (z. B. durch Tourniquet oder subkutanes Adrenalin) werden nicht empfohlen.

 

Lagerung

Der Patient soll entsprechend der führenden Symptomatik gelagert werden. Bei Schock ist dies eine flache Oberkörperlagerung, ggf. mit erhöhten Beinen (Trendelenburg). Bei führender respiratorischer Symptomatik erfolgt die Lagerung mit erhöhtem Oberkörper.

Aufrechte Körperhaltung birgt grundsätzlich die Gefahr, dass bei ausgeprägter Hypovolämie der venöse Rückstrom zusätzlich verringert wird, was im Einzelfall zu einer Dekompensation und Reanimation führen kann.

Fall 2 – Fortsetzung

Der hinzugezogene Rettungsdienst trifft auf einen ansprechbaren Patienten mit freien Atemwegen, die Atemfrequenz ist mit 18/min erhöht. Die Pulsfrequenz ist mit 90/min ebenfalls leicht erhöht, und der Blutdruck liegt bei 110/60 mmHg. Der Patient wirkt ängstlich.

Es erfolgt die Übernahme des Patienten in den Rettungswagen. Dort zeigt sich ein Juckreiz und ein von der Jugularregion ausgehendes zunehmendes Exanthem. Der Patient beklagt ein Gefühl der Benommenheit.

 

Volumengabe und vaskulärer Zugang

Eine Adrenalingabe sollte i. m. erfolgen, die Anlage eines i. v. Zugangs sollte nicht abgewartet werden. Im Verlauf sollen möglichst großlumige Venenzugänge angelegt werden. Gelingt dies nicht, wird die Anlage eines intraossären Zugangs empfohlen. Eine Anaphylaxie führt mitunter zu großen Verlusten des Plasmavolumens ins Interstitium mit der Folge eines intravasalen Volumenmangels und resultierender Hypotension.

Die aus der Pathophysiologie der Anaphylaxie resultierende relative Hypovolämie erfordert eine aggressive Volumentherapie mit Vollelektrolytlösungen. Hierzu wird auf die aktuelle Leitlinie zur Volumentherapie verwiesen.

 

Sauerstoff

Bei allen Patienten mit kardiovaskulären oder respiratorischen Symptomen wird die Gabe von Sauerstoff über eine „Non-Rebreather-Maske“ und Reservoirbeutel empfohlen.

 

Atemwegssicherung

In seltenen Fällen droht im Verlauf einer Anaphylaxie das Risiko einer Atemwegsverlegung durch Angioödem im Sinn einer „cannot intubate, cannot ventilate“-Situation. Ziel der Therapie muss es daher sein, den Progress der Erkrankung durch geeignete Maßnahmen (Adrenalingabe) zu stoppen und die Notwendigkeit einer Atemwegssicherung zu verhindern.

Zur Frage, ob und wann eine Atemwegssicherung durch endotracheale Intubation und ggf. Koniotomie indiziert ist, wird an dieser Stelle auf die „Handlungsempfehlung für das präklinische Atemwegsmanagement“ der DGAI verwiesen.

Medikamentöse Therapie: Im Vordergrund steht Adrenalin

Adrenalin - aus rein pathophysiologischen Überlegungen sinnvoll

Adrenalin wirkt kausal gegen die meisten pathophysiologisch wichtigen Veränderungen, die während der Anaphylaxie auftreten. Durch α1-Rezeptoren wird der Vasodilatation entgegengewirkt, und die Ödembildung wird reduziert. Die Stimulation von β1-Rezeptoren wirkt positiv-inotrop und -chronotrop und antagonisiert die kardiodepressiven Effekte der Entzündungsmediatoren. Schließlich wird durch β2-agonistische Effekte eine Bronchodilatation bewirkt sowie durch stabilisierende Wirkung auf Mastzellen und basophile Granulozyten einer weiteren Freisetzung inflammatorischer Substanzen entgegengewirkt.

Merke

Adrenalin wirkt bei Anaphylaxie den Pathomechanismen kausal entgegen und verhindert wirksam das Eintreten eines Herz-Kreislauf-Stillstands.

 

Kontrolliert-randomisierte Studien zur Wirkung von Adrenalin fehlen zwar weiterhin, dennoch ist seit vielen Jahren die frühzeitige Gabe von Adrenalin leitlinienübergreifend als die zentrale therapeutische Maßnahme in den Therapiealgorithmen verankert. Auch deshalb ist mit einer Verbesserung der Datenlage in absehbarer Zukunft nicht zu rechnen.

 

Allgemeines Vorgehen - intramuskulär

Merke

Treten im Rahmen einer Anaphylaxie kardiovaskuläre oder respiratorische Symptome auf, so erhalten nicht reanimationspflichtige Patienten sofort und vor jeder anderen Maßnahme intramuskuläres Adrenalin.

Die empfohlene i. m. Dosis liegt höher als in der Selbstapplikation (Epi-Pen). Sie liegt bei 0,01 mg/kgKG intramuskulär, höchstens jedoch 0,5 mg als Einzeldosis. Bei persistierenden Symptomen soll die Gabe alle 5–10 min wiederholt werden, sinnvollerweise erfolgt dies im Verlauf intravenös. Im Fall einer Reanimation erfolgt die Gabe von Adrenalin intravenös gemäß der aktuellen Reanimationsleitlinien.

Internationale Leitlinien empfehlen die Gabe von Adrenalin auch bei persistierenden rein gastrointestinalen Symptomen, falls sich die Symptome durch andere Maßnahmen nicht bessern. Diese Einsicht führt auch dazu, dass Allergologen Patienten mit bekanntem Asthma sowie schweren Verläufen in der Vorgeschichte, denen ein Adrenalin-Pen zur Selbstmedikation verschrieben wurde, raten, sich nach einem sicheren Kontakt mit einem Anaphylaxieauslöser Adrenalin selbst zu verabreichen.

Adrenalin erhöht den myokardialen Sauerstoffbedarf und kann bei kardial Vorerkrankten zu kardialer Ischämie und Rhythmusstörungen führen. Mit entsprechender Umsicht sollte der Einsatz bei Patienten mit KHK erfolgen. Dennoch gibt es für Adrenalin im Rahmen der schweren Anaphylaxie keine absoluten Kontraindikationen.

Die dynamische und nicht vorhersehbare Entwicklung jeder Anaphylaxie führt zum hohen Stellenwert einer frühzeitigen Adrenalingabe. Die intramuskuläre Gabe von Adrenalin kann daher im Zweifel bei jedem Patienten empfohlen werden, dessen Symptome über eine reine Hautreaktion hinausgehen.

 

Merke

Keine Maßnahme der Versorgung der Anaphylaxie ist nach Evidenzkriterien so gut belegt wie Art und Ort der Adrenalingabe: Bei nicht reanimationspflichtigen Patienten mit Anaphylaxie soll schnellstmöglich Adrenalin intramuskulär in den M. vastus lateralis verabreicht werden.

 

Vorteilhaft an der intramuskulären Applikation ist die langsame systemische Freisetzung. Das Risiko schwerer kardialer Nebenwirkungen ist dadurch deutlich geringer als bei intravenöser Gabe. Des Weiteren trägt die Zeitersparnis durch den primären Verzicht auf einen venösen Zugang der Forderung nach einer schnellstmöglichen Gabe von Adrenalin Rechnung. Bei fehlendem Ansprechen soll die Gabe nach 5–10 min wiederholt werden, danach soll auf eine intravenöse Adrenalingabe umgestellt werden.

 

Im Verlauf und bei bereits liegendem Venenzugang: Umstellung auf i.v. Gabe

Intravenös kommt außerhalb einer Reanimationssituation nur hochverdünntes Adrenalin zum Einsatz. Hierzu werden 1 mg Adrenalin in 100 ml NaCl verdünnt. Die so entstandene Lösung enthält 10 µg/ml und sollte mit einer Dosis von 1 µg/kgKG verabreicht werden (ein 75 kg schwer Patient erhält 7,5 ml der Lösung, entsprechend 75 µg). Eine kontinuierliche Kreislaufüberwachung inkl. EKG-Monitoring (mögliches Auftreten von Rhythmusstörungen) ist notwendig.

Andere Zubereitungen können aufgrund dramatischer, bisweilen lebensgefährlicher Komplikationen nicht empfohlen werden.

 

Fall 2 – Fortsetzung

Auskultatorisch können die Notfallsanitäter ein Giemen feststellen, die Herzfrequenz ist auf 120/min angestiegen, der Blutdruck auf 80/60 gesunken.

Sofort werden vom Notfallsanitäter 0,5 mg Adrenalin in den lateralen Oberschenkel verabreicht und der Notarzt hinzugezogen. Der Patient erhält bei pulmonaler Symptomatik zusätzlich Salbutamol sowie Steroide und ein Antihistaminikum über den in der Zwischenzeit etablierten venösen Zugang.

Bei Eintreffen des Notarztes hat sich die Situation deutlich beruhigt. Der Patient wird zur Überwachung in ein Notfallkrankenhaus transportiert.

 

Fazit

Auch bei primär milder oder fehlender Symptomatik sollte bei Kontakt zu einem Anaphylaxieauslöser eine Überwachung erfolgen. Dies gilt insbesondere bei Vorhandensein von Risikofaktoren, schweren Reaktionen in der Vorgeschichte oder Kontakt zu hochpotenten Allergenen wie Nüssen, Erdnüssen oder Insektengiften.

Larynxödem und Bronchialobstruktion - zusätzliche Inhalation wirksam

Zusätzlich zur intramuskulären Gabe kann bei Larynxödem eine topische Applikation von Adrenalin per Inhalator erfolgen. Diese Inhalation stellt aber nach Leitlinie keinen Ersatz für i. m. Adrenalin dar, sondern ergänzt dieses sinnvoll. Auch bei gleichzeitig zum Larynxödem bestehender Bronchialobstruktion kann inhalatives Adrenalin wirksam sein. Es werden 3–5 ml der unverdünnten Adrenalinlösung vernebelt, dies entspricht 3–5 mg.

Bei streng isolierter bronchialer Obstruktion sollte aufgrund der besseren Wirksamkeit an den Bronchien ein β2-Mimetikum wie Salbutamol verwendet werden. Auch dieses soll ergänzend zu i. m. Adrenalin gegeben werden.

Merke

Inhalation bei bronchialer Obstruktion mit β2-Agonisten, bei Larynxödem mit Adrenalin nur ergänzend zu i. m. Adrenalin.

 

Hochdosisgabe bei Reanimation immer i.v.

Reanimationspflichtige Patienten erhalten in Übereinstimmung mit der ERC-Leitlinie „Kreislaufstillstand unter besonderen Umständen“ hochdosiert (1 mg) Adrenalin i. v.

Andere Medikamente zur Kreislaufunterstützung

Zum Einsatz anderer Medikamente gibt es allenfalls Expertenmeinungen und einzelne Fallberichte. Die Frage, ob der Einsatz dieser Substanzen möglicherweise einen Vorteil bringt, kann sich im Einzelfall stellen, sollte jedoch kritisch hinterfragt werden.

 

Noradrenalin

Noradrenalin kann als potenter α1- und geringfügiger β-Agonist bei ungenügender Wirksamkeit anderer Katecholamine in Erwägung gezogen werden. Allerdings fehlt die Bronchodilatation durch den geringeren β2-Agonismus weitgehend.

 

Vasopressin

In einigen berichteten Fällen konnte Vasopressin zur Therapie schwerer Hypotonien eingesetzt werden. Bei volumen- und katecholaminrefraktären Schockzuständen kann ein Einsatz erwogen werden, sofern Erfahrung mit der Substanz vorhanden ist. Studien hierzu fehlen.

Glukagon

Glukagon kann bei therapierefraktärer Hypotension nach Einnahme von β-Blockern eingesetzt werden, die Datenlage hierzu ist jedoch noch lückenhaft. Glukagon wirkt durch β-Rezeptor-unabhängige Aktivierung der Guanylatzyklase positiv-chronotrop und positiv-inotrop. Als Initialdosis wird 1 mg Glukagon empfohlen. Gefahr droht durch häufig zu beobachtendes Erbrechen als Nebenwirkung, insbesondere bei bewusstseinseingeschränkten Patienten. Glukagon ist aus pathophysiologischen Überlegungen sinnvoll, stellt derzeit aber nur eine Option bei therapierefraktären Ausnahmesituationen dar.

 

Antiallergika: mehr oder weniger sinnvolle Ergänzung

Trotz fehlender absoluter Kontraindikation für intramuskuläres Adrenalin sind die derzeit am häufigsten von Ärzten bei der Versorgung dieses Notfalles eingesetzten Substanzen Antihistaminika und Glukokortikoide.

 

H1- und H2-Antagonisten

Bisher konnte in Studien lediglich gezeigt werden, dass die Gabe von H1-Rezeptor-Antagonisten der ersten Generation bei allergischen Hautreaktionen sowie Rhinokonjunktivitis wirksam beschwerdebessernd ist. So verringern Antihistaminika den Juckreiz und wirken angenehm sedierend.

Wirkungen auf die Kreislaufinsuffizienz und die bronchiale Obstruktion sind nicht belegt. Trotz fehlender Belege ist eine positive Wirkung von H1-Rezeptor-Antagonisten aus pathophysiologischen Überlegungen zu erwarten und wird deswegen weiter auch bei schwerer Anaphylaxie, allerdings nur ergänzend zum Adrenalin, empfohlen. Als Dosis werden für Clemastin 0,05 mg/kgKG und für Dimetinden 0,1 g/kgKG angegeben. Der Wirkeintritt ist deutlich langsamer als der von Adrenalin.

Die Evidenz zu H2-Rezeptor-Antagonisten ist noch geringer. Da nur ein geringes Nebenwirkungspotenzial besteht, wird eine Gabe bei schweren anaphylaktischen Reaktionen ebenfalls ergänzend empfohlen. Problematisch ist derzeit die Verfügbarkeit von Ranitidin. Die Substanz wird von der EMA aufgrund des Nachweises von N-Nitrosodimethylamin (NDMA) überprüft. Derzeit ruht die Zulassung in Deutschland daher.

 

Glukokortikoide

Für viele sicher überraschend ist der Umstand, dass es auch zur Gabe von Glukokortikoiden keinen Nachweis der Wirksamkeit bei Behandlung schwerer Anaphylaxien gibt. Da die Wirkung schon aus rein pharmakologischen Gründen nicht sofort eintreten kann, ist der fehlende Einfluss auf den akuten Krankheitsprogress logisch und nachvollziehbar. Glukokortikoide sollen gegeben werden, wenn alle anderen Therapiemaßnahmen schon erfolgt sind und die sonstige Versorgung dadurch nicht beeinträchtigt oder verzögert wird. Ein möglicher Nutzen von Glukokortikoiden besteht in der Prävention von Spätreaktionen.

 

Einen Überblick über die Versorgungsstrategie gibt [Abb. 3].

 

Weiterversorgung

Cave

Spätreaktionen sind möglich!

 

Allergische Spätreaktionen können durch den dynamischen Prozess der akuten Anaphylaxie begünstigt werden. Spätreaktionen können in ihrer Schwere durchaus an die Sofortreaktion heranreichen oder diese sogar übertreffen. Im Einzelfall können sie lebensbedrohlich sein. Während der ersten Reaktionen begünstigen die von Mastzellen freigesetzten Zytokine die Aktivierung und Migration von Granulozyten und Lymphozyten in das Gewebe, allen voran die Lunge. Dort kann es dann durch eine spätere Zytokinausschüttung zu den genannten Spätreaktionen kommen.

Cave

Besonders gefährdet sind Patienten mit vorbestehendem Asthma bronchiale.

 

Das Auftreten von Spätreaktionen wird zwischen 1 und 72 h nach Allergenkontakt beschrieben. Spätreaktionen treten z. B. bei der Erdnussallergie in bis zu 30% aller Fälle auf. In verschiedenen Reviews und auch den aktuellen Leitlinien wird daher eine Überwachung für bis zu 24 h auch nach initial milder Reaktion – bei gesichertem Kontakt zu einem Anaphylaxieauslöser auch bei fehlender Sofortreaktion – empfohlen.

 

Prävention

Risikopatienten (vorausgegangene Anaphylaxie oder diagnostizierte Allergie mit hohem Risiko einer Anaphylaxie; s. o.) werden mit Notfallsets ausgestattet. Darin enthalten sind in der Regel ein sogenannter Adrenalin-Pen mit entweder 0,3 mg oder 0,5 mg Adrenalin zur intramuskulären Injektion sowie häufig Antihistaminika und Glukokortikoide zur oralen bzw. rektalen Gabe.

Patienten bzw. Angehörige erhalten einen Notfallplan mit genauen Handlungsanweisungen und sollten im Umgang mit den Medikamenten, insbesondere dem Adrenalin-Pen, geschult werden. Ein Beispiel für einen Notfallplan findet sich in der deutschen Anaphylaxieleitlinie.

 

Aktueller Exkurs: Anaphylaxie in Verbindung mit COVID19-Impfungen

Angesichts der derzeit laufenden COVID-19-Schutzimpfungen weltweit sind auch Fachpublikationen zum insgesamt sehr geringen Anaphylaxierisiko von mRNA-Impfstoffen publiziert worden. Trotz des geringen Risikos müssen selbstverständlich auch bei COVID-19-Impfungen Vorbereitungen auf eine Anaphylaxie getroffen werden. In jedem Fall gehört hierzu das Bereithalten von Adrenalin (z. B. als „Epi-Pen“).

Zusammenfassung

Pathophysiologie

Durch Antigenkontakt kommt es zur Freisetzung von Histamin, plättchenaktivierendem Faktor und anderen Mediatoren aus Mastzellen und Granulozyten. Die Folge der Mediatorfreisetzung sind:

  • Juckreiz, Rötung und Schwellung im Bereich der Haut und Schleimhäute,

  • Bronchospasmus und gesteigerte Sekretproduktion sowie ödematöse Schwellung der Atemwege,

  • arterielle Hypotension durch Stickstoffmonoxidfreisetzung, Plasmaextravasation und kardiodepressive Effekte sowie Herzrhythmusstörungen,

  • Nausea, Übelkeit, Erbrechen, Bauchkrämpfe und ungewollte Defäkation als Symptome gastrointestinaler Beteiligung,

  • neurologische Symptome können Schwindel, Kopfschmerz sowie Desorientierung sein.

Am häufigsten ist die Haut betroffen, es folgen die Atemwege, der Gastrointestinaltrakt und das Herz-Kreislauf-System sowie das ZNS.

 

Diagnostik

Die Diagnose der Anaphylaxie erfolgt allein nach klinischen Symptomen.

Diagnosekriterien: Wenn eines der beiden folgenden Kriterien erfüllt ist, handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine Anaphylaxie:

  • Kriterium 1: plötzlicher Krankheitsbeginn (Minuten bis Stunden) mit Beteiligung der Haut und/oder Schleimhaut unter Auftreten mindestens eines der folgenden zusätzlichen Symptome:

    • respiratorische Insuffizienz,

    • Kreislaufinsuffizienz (Hypotension, Synkope, Organ-Dysfunktion),

    • schwere gastrointestinale Symptome.

  • Kriterium 2: Innerhalb von Minuten bis Stunden nach Kontakt zu einem Antigen treten eine akute Bronchialobstruktion oder Kreislaufinsuffizienz auf, ohne dass Hautsymptome erkennbar sind.

Therapie

Die Behandlung einer Anaphylaxie kann in zwei Schritte eingeteilt werden, die nacheinander gegangen werden:

  • Schritt 1: Wichtigste therapeutische Maßnahme ist die intramuskuläre Gabe von 0,5 mg Adrenalin, typischerweise in den M. vastus lateralis

  • Schritt 2: Alle ergänzenden Interventionen wie Sauerstoffgabe, Volumentherapie, Anwendung von Bronchodilatatoren, Gabe von Steroiden und Antihistaminika und die differenzierte Weiterversorgung erfolgen symptomorientiert und im Anschluss an Schritt 1.

Die Gabe von Antihistaminika und Glukokortikoiden hat in der Akuttherapie der Anaphylaxie keinen gesicherten Nutzen; sie wird dennoch empfohlen, soll aber andere Maßnahmen nicht verzögern.

 

 

 

Cave

Bei gesichertem Kontakt zu einem Allergen soll bei Allergikern wegen der Gefahr lebensbedrohlicher Spätreaktionen eine Klinikaufnahme erfolgen, auch bei milder oder fehlender Symptomatik. Insbesondere Lebensmittelallergien (vor allem gegen Nüsse) dürfen hierbei nicht unterschätzt werden.