veröffentlicht in: Der Notarzt, 01/2015
http://dx.doi.org/10.1055/s-0033-1544925 Notarzt 2015;31;39-46- (c) Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart
Todesfeststellung, Leichenschau und Ausstellung des Totenscheins gehören im Notarztdienst zur Routine. Aus den dabei getroffenen Feststellungen und der Beurkundung folgen bedeutsame rechtliche Konsequenzen. In diesem Beitrag werden die Probleme in der medizinischen und rechtlichen Praxis behandelt.
Kasuistik 1. Ein Hausarzt betreut palliativ eine tumporkranke Patientin mit infauster Prognose. Am Sonntagmorgen ruft ein Angehöriger bei der Rettungsleitstelle an und teilt mit, dass die Patientin leblos sei. Der Notarzt findet die Leiche bekleidet im Bett flach auf dem Rücken liegend. Die Leichenstarre ist voll ausgeprägt. Am Rücken und auf der Rückseite der Beine zeigen sich wegdrückbare Leichenflecke.
Kommentar: Hier kann der Notarzt in Kenntnis der Anamnese angesichts der Schlüssigkeit des Ablaufes und der Todeszeichen einen natürlichen Tod bescheinigen und damit den Leichnam zur Bestattung freigeben. Er sollte dennoch bei der Leichenschau auf Zeichen äußerer Gewalt oder Anzeichen von Vergiftungen achten. Eine Erstickung mit einnem weichen Gegenstand wie einem Kissen ist jedoch weder mit den Mitteln des Leichenschauers noch häufig mit denjenigen des Obduzenten nachweisbar. Wird der Notarzt zu einem weiteren Einsatz alarmiert, sollte er sich auf einen vorläufigen Totenschein beschränken und den betreuuenden Hausarzt um die Durchführung der Leichenschau bitten.
Kasuistik 2. Der Notarzt wird der Meldung "Bewusstlosigkeit" am frühen Morgen alarmiert. Am Einsatzort befinden sich bereits die Rettungswagenbesatzung und mehrere Angehörige. Am Boden liegt auf dem Bauch ein halb bekleideter Mann in einer großen Blutlache. Der Notarzt kann keinen Puls tasten und Atembewegungen fehlen. Der Körper fühlt sich warm an. Im EKG zeigt sich eine Nulllinie, der Unterkiefer ist frei beweglich und Totenflecke finden sich nicht.
Kommentar: Soweit hier noch keine sicheren Todeszeichen vorliegen, ist eine Reanimationsbehandlung zu beginngn und so zu prüfen, ob ein Spontankreislauf wieder erreicht werden kann. Gleichzeitig sollte nach Möglichkeit die Fremdanamnese erhoben werden und das Vorliegen einer Patientenverfügung geprüft werden. Bei der Intubation und der körperlichen Untersuchung sollte auf die Ursache der Blutlache geachtet werden. Eine häufige Ursache sind Ösophagusvarizen in Zusammenhang mit einer Lebererkrankung. Eine Entscheidung kann erst bei Nichterfolg der Reanimation oder nach entsprechender Diagnostik im Krankenhaus erfolgen.
Kasuistik 3. Die Rettungsleitstelle kündigt in einer kardiologischen Klinik einen 48-jährigen Mann mit der Meldung "laufende Reanimation, intubiert, beatmet" an. Der Notarzt übergibt unter mechanischer und medikamentöser Reanimation einen ungepflegten Mann. Er wurde von seiner Freundin bewusstlos aufgefunden. Die Reanimation wurde von der Besatzung des ersteintreffenden Rettungsmittels begonnen und dauert bereits 60 Minuten an. Sie wird in der Klinik nach kurzer Diagnostik (Echokardiografie ohne Hinweise auf eine Rechtsherzbelastung oder Tamponade, Blutgasbestimmung mit akzeptabler Oxygenierung und pH-Wert unter 7) abgebrochen. Die medizinische Vorgeschichte des Mannes ist leer: "Er ging nicht gern zum Arzt."
Kommentar: Hier ist die medizinische Vorgeschichte nicht bekannt. So kein Hinweis auf ein Fremdverschulden zu finden ist, ist auch hier nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen von einem natürlichen Tod auszugehen. Bei dem geringsten Anhalt für eine Fremdeinwirkung ist jedoch ein ungeklärter Tod zu bescheinigen und ein amtliches Todesermittlungsverfahren zu initiieren.
Kasuistik 4. Ein Rettungswagen und der Notarzt werden mit der Meldung "leblose Person in Wohnung, Erstmelder vor Ort, auf Eigenschutz achten" alarmiert. Vor Ort empfängt die Erstmelderin die Rettungswagenbesatzung im Hof des Anwesens und berichtet, dass ihre Bekannte blutverschmiert und leblos am Boden der Wohnung des Hauses im 1. Stock liegt. Die Rettungswagenbesatzung geht in die Wohnung und findet eine warme, puls- und leblose, ungefähr 40-jährige Frau am Boden sowie Spuren eines Kampfes. Sie legen ein EKG an, dass eine Nulllinie zeigt, und warten neben der Toten auf den Notarzt, der 5 Minuten später eintrifft.
Kommentar: Hier ist zunächst abzuwägen, ob noch Reanimationsbemühungen eingeleitet werden sollen. Dies ist dann problematisch, wenn noch keine sicheren Todeszeichen vorliegen und keine offensichtlich mit dem Leben unvereinbaren Verletzungen festzustellen sind. Im referierten Fall zählte der Rechtsmediziner über 30 Messerstiche in Thorax und Abdomen.
Zu beachten ist weiterhin bei Hinweisen auf eine Straftat oder einen Unfall der Eigenschutz der Rettungsdienstmitarbeiter. Hier hatte der Rettungsdienst den Einsatzort vor der Polizei erreicht, und der Verbleib des Täters war unklar. Der Notarzt sollte daher von weiteren Maßnahmen absehen, den Tatort mit allem Personal verlassen und seine Informationen den ersteintreffenden Polizeibeamten übergeben. Diese werden dann den Tatort und seine Umgebung in Schutzausrüstung absuchen und die weiteren Maßnahmen (Anforderung von zusätzlichen Kräften, Einleitung der Fahndung und Spurensicherung) veranlassen.
Kasuistik 5. Der Notarzt wird am Sonntagmorgen zu einem Gasthof in einer kleinen ländlichen Gemeinde alarmiert. Im Badezimmer der Wirtswohnung findet sich ein auf dem Bauch liegender ca. 70-jähriger lebloser Mann mit unbekleidetem Oberkörper in einer großen Blutlache. Das Badezimmer liegt im ersten Obergeschoss und das Licht ist ausgeschaltet. Im Erdgeschoss befindet sich die gehbehinderte Ehefrau des Toten, die am Vortag nach einem langen Krankenhausaufenthalt wegen eines Schlaganfalls nach Hause zurückgekehrt war.
Die Kasse des Wirtes liegt anscheinend unangetastet im Schlafzimmer, der Leichnam weist eine klaffende Wunde am Hals und Totenflecke auf. Zuletzt lebend gesehen wurde der Wirt am Vorabend von seinen Kindern, als sie die Mutter zu Bett brachten und die Tür von außen verschlossen. Es waren auch die Kinder, die den Wirt an diesem Morgen tot im Badezimmer aufgefunden hatten.
Kommentar: Der Wirt ist sicher tot, und eine Straftat kann nicht ohne Weiteres ausgeschlossen werden. In dieser Situation sollte sich der Rettungsdienst zurückziehen und versuchen, den mutmaßlichen Tatort der Polizei so wenig verändert wie möglich zu übergeben. Dabei sind Details wie die Stellung des Lichtschalters im Raum von großer Bedeutung.
Der Leichnam sollte möglichst vor Veränderung der Lage fotodokumentiert und durch einen Rechtsmediziner oder einen erfahrenen Ermittler untersucht werden. Idealerweise wartet der ersteintreffende Rettungsdienstmitarbeiter auf die Beamten der Kriminalpolizei, um Informationsverluste zu vermeiden.
Feststellung des Todes. In den vorgestellten Fällen obliegt dem Notarzt als erstem Arzt vor Ort die Feststellung des Todes. Die Leichenschau wird unter wechselnden Bedingungen und mit unterschiedlichen Kenntnissen über die medizinische Vorgeschichte des Patienten erbracht. Gleichwohl ist sie in den Bestattungsgesetzen der deutschen Bundesländer verpflichtend festgelegt. Schlechterfüllung oder Unterlassund sind durch empfindliche Ordnungsstrafen bewehrt.
Rechtsgrundlage. Die Rechtsgrundlage der Leichenschau ist aufgrund der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gemäß Art. 70 Abs. 1 Grundgesetz nicht einheitlich. Während manche Bundesländer die Fragen des Leichenschaurechts in eigenen Gesetzen geregelt haben, begnügen sich andere mit Verordnungen im Rahmen des Polizei- und Ordnungsrechts. Den landesrechtlichen Regelungen gemeinsam ist, dass die Todesfeststellung und die Leichenschau durch einen Arzt zu erfolgen hat. Allein der diensthabende Notarzt kann sich unter Umständen der Aufgabe der Leichenschau entziehen und sich auf die Ausstellung eines vorläufigen Totenscheines beschränken.
Probleme. In der Literatur werden mehrere Probleme bei der Durchführung der Leichenschau benannt:
Dessen ungeachtet hat der Arzt bei der Leichenschau die gesetzliche Pflicht, die in der Checkliste genannten Aufgaben zu erfüllen.
Checkliste. Gesetzliche Aufgaben bei der Leichenschau:
Definition Leichnam. Unter einem Leichnam versteht man den Körper eines Verstorbenen, solange der gewebliche Zusammenhang infolge von Fäulnis noch nicht aufgehoben ist. Skelette oder Teile davon zählen nicht als Leichnam. Totgeburten ab 500g gelten als Leichnam und bedürfen der Leichenschau. Nach der Geburt verstorbene Säuglinge sind unabhängig vom Geburtsgewicht leichenschaupflichtig, wenn sie Lebenszeichen hatten (Herzschlag, pulsierende Nabelschnur, Atmung). Als menschliche Leiche gilt auch ein einzelner Körperteil, ohne den ein Weiterleben nicht möglich ist (Kopf, Rumpf).
Bestattungsfristen. Nach den meisten Regelungen ist ein Leichnam binnen 36 Stunden in eine öffentliche Leichenhalle zu überführen. Eine Bestattung darf frühestens nach 48 Stunden und muss spätestens innerhalb von 8 Tagen erfolgen.
Veranlassung der Leichenschau. Weitgehende Übereinstimmung besteht bezüglich der zur Veranlassung einer Leichenschau Verpflichteten: Das sind zunächst die Angehörigen (Ehegatte, Eltern, Kinder, Geschwister), der Wohnungsinhaber, der Hauseigentümer, ggf. der Anstaltsleiter oder der Kapitän eines Schiffes. Im öffentlichen Raum ist die Sicherheitsbehörde oder im Fall der Unerreichbarkeit die Polizei zuständig.
Ort und Zeitpunkt der Leichenschau. Die Leichenschau ist an dem Ort vorzunehmen, an dem der Tod eingetreten ist oder an dem der Leichnam aufgefunden wird. Ist dies aus tatsächlichen Gründen nicht möglich, kann sich der Leichenschauer auf die Feststellung des Todes beschränken und die Leichenschau an einem anderen geeigneteren Ort fortsetzen. Grundsätzlich soll sie Leichenschau unverzüglich erfolgen, spätestens innerhalb von 6 Stunden.
Jeder approbierte Arzt ist nach Aufforderung zur Leichenschau verpflichtet. In Krankenhäusern hat die ärztliche Leitung für die Durchführung der Leichenschau Sorge zu tragen.
Rechte des Leichenschauarztes. Der Leichenschauarzt hat ein Zutritts- bzw. Betretungsrecht, das ihm die Leichenschau ermöglicht. Wird ihm der Zutritt verweigert, muss dieser durch Polizeigewalt erzwungen werden.
Auskunftspflichten Angehöriger, Dritter und vorbehandelnder Ärzte. Angaben zur Todesursache sind ohne Kenntnisse der Anamnese nicht möglich. Daher besteht ein Auskunftsanspruch gegenüber vorbehandelnden Ärzten und Angehörigen.
Feststellungs- und Meldepflichten. Der Leichenbeschauer hat die folgenden Feststellungen zu treffen:
Vorläufiger Totenschein. Der diensthabende Notarzut kann aufgrund eines nachfolgenden Einsatzes an der Ausführung der Leichenschau gehindert sein und sich auf die Ausführung eines vorläufigen Totenscheines beschränken. Er muss aber auch hierfür ein spezielles Formular nach amtlichen Muster benutzen. Des Weiteren muss er die Totensorgeverpflichteten auf die Notwendigkeit der Leichenschau durch einen anderen Arzt hinweisen.
Schweigepflicht des Leichenbeschauers. Die Leichenschau ist eine ärztliche Tätigkeit. Sie unterliegt gemäß § 203 Strafgesetzbuch daher auch der ärztlichen Schweigepflicht und deren strafrechtlichem Schutz.
Unsachgemäße Leichenschau. Verstöße gegen die gesetzlichen Regelungen zur Leichenschau werden als Ordnungswidrigkeiten mit Geldstraßen bis zu 25.000 € geahndet. Infrage kommen:
Die Unterscheidung zwischen Tod und reanimationspflichtigem Zustand ist unverzüglich vorzunehmen.
Die Todesfeststellung ist einfach, wenn bereits ein sicheres Todeszeichen vorliegt. Problematisch ist der Zeitraum zwischen leblosem Zustand und Auftreten der ersten Totenflecke (nach ca. 10 Minuten bei vorangegangener Reanimation, sonst nach ca. 30 Minuten) und bei Vorliegen einer Vita reducta. Vorsicht ist angebracht bei den durch Prokop in der AEIOU-Regel zusammengefassten Ursachenkompleen für eine Vita reducta. Iyer et al. haben dazu formuliert: "No one is dead until he is warm and dead!" Man könnte hinzufügen: "and detoxified".
Sichere Todeszeichen:
Reanimation vs. Todesfeststellung. Beim Fehlen sicherer Todeszeichen muss schnell entschieden werden, ob eine Reanimation erfolgen soll. Die Indikation hierfür ist großzügig zu stellen, um nicht Chancen auf Lebenserhaltung durch Zögern zu verschenken.
Führt eine korrekt durchgeführte Reanimation nicht binnen 30-40 Minuten zu Lebenszeichen (Spontanatmung, spontane Herztätigkeit oder Reflextätigkeit), kann sie als aussichtslos abgebrochen werden. Hierbei sind jedoch die oben aufgeführten Ausnahmen, insbesondere die Unterkühlung, zu beachten und im Zweifel die Reanimation länger fortzuführen. Eine Todesfeststellung darf erste erfolgen, wenn die Körperkerntemperatur mindestens 32°C beträgt.
Als Kriterien für die Todesfeststellung kommen infrage:
Die meisten Totenscheinformulare folgen dem Muster der WHO. Dabei soll eine Kausalkette von der unmittelbaren Todesursache zum ursprünglichen Grundleiden dokumentiert werden. Das Grundleiden ist die Krankheit oder Verletzung, die den Ablauf der direkt zum Tode führenden Krankheitszustände auslöste oder die Umstände des Unfalls oder der Gewalteinwirkung, die den tödlichen Ausgang verursachten. Funktionelle Endzustände wie der Atemstillstand oder Herz-Kreislauf-Versagen sollen nicht Teil dieser Kausalkette sein.
Dabei ist zu beachten, dass die Kausalkette umgekehrt, also vom Ergebnis her rückwärts dargestellt wird.
Die Todesart eines Menschen kann natürlich, nicht natürlich oder ungeklärt sein. Eine Legaldefinition des nicht natürlichen Todes fehlt, obwohl dem Arzt mit der Qualifizierung der Todesart eine entscheidende Weichenstellung in unserer Rechtsordnung zukommt.
Der Arzt entscheidet dadurch darüber, ob ein Todesfall zur behördlichen Kenntnis gelangt und gegebenenfalls Gegenstand weiterer Ermittlungen wird oder zur Bestattung freigegeben ist. Trotz des Fehlens einer Legaldefinition stellt die Justiz allein auf Fälle ab, in denen einen Dritten ein Verschulden am Tod eines Menschen trifft. Nicht natürlich ist der durch Suizid, Unfall, strafbare Handlung oder sonst durch Einwirkung von außen herbeigeführte Tod.
Während die Naturwissenschaft hier nach reinen Kausalitätsüberlegungen ohne Werturteil denjenigen Tod als nicht natürlich qualifiziert, der durch ein äußeres Ereignis entsteht, reduziert die juristische oder kriminologische Betrachtung den nicht natürlichen Tod auf den fremdverschuldeten und ordnet alle anderen Kausalketten dem natürlichen Tod zu. Dadurch wächst zwangsläufig das Risiko, fremdverschuldete Todesfälle nicht zu erkennen. Der leichenschauende Arzt sollte daher nach Hinweisen auf einen nicht natürlichen Tod in Anamnese und Befund forschen. Dazu zählen:
Bei den Befunden ist zu achten auf:
Unrichtige Qualifikation der Todesart. Die fehlerhafte Qualifikation der Todesart ist hauptsächlich in denjenigen Fällen bedeutsam, in denen irrigerweise ein natürlicher Tod bescheinigt wird. Finden sich aufgrund einer schlecht durchgeführten Leichenschau später doch Hinweise auf einen nicht natürlichen Tod, z.B. ein Messerstich am Rücken, muss der leichenschauende Arzt mit einem Bußgeldverfahren rechnen. Übersieht er eine Vita minima oder eine Gefahr für Dritte (wie eine Kohlenmonoxidvergiftung oder eine kontagiöse Infektion) kommt sogar eine strafrechtliche Sanktion in Betracht. Auch die Bescheinigung eines natürlichen Todes bei Hinweisen auf einen Behandlungsfehler kann den Verdacht der Strafvereitelung begründen. Hier kann nur empfohlen werden, einen ungeklärten oder nicht natürlichen Tod zu bescheinigen.
Eine gerichtliche oder klinische Obduktion ist häufig das einzig taugliche Mittel zur Abwehr unberechtigter Vorwürfe.
Der Leichenschauer muss grundsätzlich damit rechnen, dass er es mit dem Opfer eines Verbrechens zu tun hat. Behandlung und Lebensrettung haben Vorrang vor Ermittlungen. Kein Staatsanwalt macht dem Rettungsdienst oder dem Notarzt einen Vorwurf, wenn im Rahmen einer notwendigen Behandlung die Auffindungssituation verändert wird. Ist der Tod jedoch gesichert und finden sich Hinweise auf eine Straftat, muss die Leichenschau sofort abgebrochen und die Polizei verständigt werden. Da die Täter oft im persönlichen Umfeld des Toten zu suchen sind, sollte der Arzt sparsam mit der Mitteilung seiner Überlegungen sein. Stattdessen sollte er zurücktreten, sich die Situation möglichst detailgetreu einprägen und diese Informationen an die Polizeibeamten weitergeben.
Die unverzügliche Kontaktaufnahme mit der Polizei erfolgt bei:
Livores oder Totenflecke. Als erstes sicheres Todeszeichen treten die Livores oder Totenflecke nach ca. 30 Minuten an den abhängigen Körperteilen auf. Bei vorangegangener Reanimation können erste Totenflecke bereits 10 Minuten nach Beendigung der Reanimation auftreten. Aufliegende Körperteile bleiben ausgespart. Ihre normale Farbe ist blaulivide. Hellrote Leichenflecke sind Hinweise auf eine Vergiftung mit Kohlenstoffmonoxid oder Zyanid oder auf eine Kälteeinwirkung. Letztere kann differenzialdiagnostisch mit Hilfe des Nagelbettes abgegrenzt werden. Ist dieses auch mit hellroten Flecken versehen, handelt es sich um eine Intoxikation. Da der Sauerstoff nicht durch die Nägel diffundieren kann, bilden sich auch bei Kälteeinwirkung normale Totenflecke unter den Nägeln.
Hellrote Totenflecke sind ein Warnsignal, bei dessen Auftreten zum einen der Eigenschutz und zum anderen die Ursache durch Einschalten der Polizei aufzuklären sind.
Zu beachten sind auch bräunliche oder grünliche Totenflecke, die einen Hinweis auf eine Intoxikation mit Methämoglobinbildnern (Natriumchlorat, Nitrit, Nitrate) oder Sulfhämoglobinbildnern (Hydrogensulfid) sein können.
Totenstarre. Das zweite wichtige Todeszeichen ist die Totenstarre. Sie tritt im Mittel 3-4 Stunden nach Todeseintritt auf, beginnt im Unterkiefer und Nacken und breitet sich dann nach unten aus. Auch hier gibt es eine erhebliche Variationsbreite, und die Totenstarre sollte daher immer an mehreren Gelenken geprüft werden. Bricht man die Totenstarre mit Gewalt, tritt sie in den ersten 6-8 Stunden post mortem wieder auf. Nach 2-3 Tagen bei Zimmertemperatur löst sie sich aufgrund der Proteolyse wieder auf.
Es fehlen systematische Untersuchungen zum zeitlichen Ablauf des Auftretens der Totenflecke und der Totenstarre. In der Literatur schwanken die Zeitangaben so stark, dass eine verlässliche Grundlage für eine Todeszeiteinschätzung weder bei den Totenflecken noch bei der Totenstarre zu erreichen ist. So variiert je nach Quelle das erste Auftreten von Totenflecken zwischen einer Viertelstunde post mortem und 3 Stunden post mortem.
Fäulnis. Als drittes sicheres Todeszeichen wird die Fäulnis genannt. Hier ist die Todesfeststellung auch ohne weitere Untersuchung einfach, die Qualifikation der Todesart hingegen wird mit fortschreitendem Zersetzungsprozess und womöglich fehlender Anamnese so erschwert, dass die Todesart stets als ungeklärt zu bezeichnen ist und die Ermittlungsbehörden hinzuzuziehen sind.
Alle Totenscheine verlangen die Eintragung einer Todeszeit mit Datum und Uhrzeit. Auch mit Hilfe rechtsmedizinischer Methoden, die dem Leichenschauer in der Regel nicht zur Verfügung stehen, ist nur eine Annäherung an den Todeszeitpunkt auf einige Stunden möglich. Daher sollte der Leichenschauer allen Pressionen widerstehen, einen bestimmten Zeitpunkt zu beurkunden, wenn der Tod nicht beobachtet wurde.
Existieren keinbe Zeugen des Todeseintritts, so darf die Todeszeit nicht einfach geschätzt werden, sondern es sind objektiv belegbare Zeiten anzugeben, wie der Zeitpunkt der Leichenauffindung, der Zeitpunkt der ärztlichen Todesfeststellung und der Zeitpunkt, zu dem der Verstorbene zuletzt lebend gesehen wurde.
Der plötzliche Kindstod ist das am meisten angstbesetzte Thema bei Notärzten und Rettungsdienstpersonal. Er stellt die häufigste Todesursache im Zeitraum zwischen dem 7. Lebenstag und dem Ende des 1. Lebensjahres dar und hat eine Inzidenz von 0,5%. Das Häufigkeitsmaximum liegt zwischen dem 2. und dem 6. Lebensmonat, mit einer weiteren leichten Zunahme um den 10. Lebensmonat. Der plötzliche Kindstod tritt im Schlaf ein mit einer saisonale Häufing im Herbst und Winter und einer Abhängigkeit von Infektwellen und einer Übersterblichkeit von Jungen (3:2). Seine Ätiologie ist ungeklärt. Identifiziert sind nur zahlreiche kindliche und mütteliche sowie handhabungsbedingte Belastungsfaktoren. Aus Sicht des Leichenbeschauers ist der wichtigste Hinweis, dass es sich nicht um ein Ersticken handelt. Es ist der unvorhersehbare natürliche Tod eines Säuglings. Allerdings kommt es aufgrund der dabei auftretenden Schnappatmung zu petechalen Einblutungen in Pleura, Perikard und Thymuskapsel, die nicht Folge eines Erstickens sind und nicht zur Kriminalisierung der von einem schweren Schicksalsschlag betroffenen Eltern führen darf.
Zu achten ist allerdings im Rahmen der Leichenschau und der vorläufigen Todesfeststellung beim Kind auf die Folgen einer Kindesmisshandlung. 2008 wurden in der Kriminalstatistik insgesamt 3426 Fälle von körperlichem Kindesmissbrauch erfasst. Besonders gefährdet sind Kleinkinder im Alter von 2-4 Jahren, 75% der Fälle betreffen Kinder unter 7 Jahren. Es kommt jede Form von Gewalt vor: vom Schlagen, Treten, Beißen über Fesseln, Verbrennen, Verbrühen bis zum Unterkühlen, Beinahe-Ersticken, Vergiften und Schütteln. Letzteres hinterlässt wenige äußere Spuren, obwohl ein Viertel der Kinder verstirbt und von den Überlebenden 75% bleibende Schäden zurückbehalten. Verdacht sollte der Leichenbeschauer in den in der Übersicht genannten Situationen schöpfen:
Kasuistik 6. Notarzt und RTW werden an einem Freitagmittag in eine Mietswohnung alarmiert. Eine junge Frau
hatte bei der Rettungsleitstelle angerufen, nachdem sie ihren Vater im Badezimmer leblose in der Badewanne gefunden hatte. Das Badewasser war tiefrot blutig, der Mann lag mit dem halben Gesicht
im Wasser. Sie traute sich nicht, näher heranzugehen und nach Lebenszeichen zu suchen. Zuletzt gesprochen hatte sie ihn zwei Tage zuvor, dort sei abgesehen von seinen chronischen gesundheitlichen
Problemen alles in Ordnung gewesen.
Im Regal neben der Badewanne liegen zwei kleinere Küchenmesser, beide sehen sauber aus.
Kommentar: Aufgrund der sicheren Todeszeichen (ausgeprägter Rigor Mortis) und der Körperkerntemperatur (ca. 20 °C) wurden keine Reanimationsmaßnahmen
eingeleitet. Die Wohnungstür war bis zum Eintreffen der Tochter verschlossen, und in den einfachen Wohnverhältnissen sind keine Wertgegenstände zu vermuten. Hinweise auf eine Fremdeinwirkung
liegen nicht vor. Allerdings findet sich auch keine Blutungsquelle, die das blutige Badewasser erklärt. Oberflächliche Untersuchungen vor Eintreffen der Kriminalpolizei zeigen keine typischen
Sturzverletzungen (z.B. Kopfplatzwunde) oder Verletzungen an den Handgelenken (z.B. bei Suizid durch Eröffnen der Pulsadern). Die Anamneseerhebung über die Angehörigen ist aufgrund der getrennt
lebenden Eheleute schwierig, eine terminale Erkrankung scheint jedoch nicht vorgelegen zu haben. Im Zusammenschau der Informationen wird die Todesursache als "ungeklärt" klassifiziert und der
Leichnam an die Kriminalpolizei übergeben.
Kernaussagen.